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Biografie

„Die Stadt Prag ist übrigens wundervoll, so schön, dass sie allein schon eine grössere Reise
lohnen würde.“

Albert Einstein, 1911

ALBERT EINSTEINS PRAGER JAHRE, 1911-1912

Vorwort

Einsteins Prager Jahre sind ein bedeutungsvoller Meilenstein im Leben dieses bedeutenden Forschers und Denkers. In Prag fand Albert Einstein – wie er selbst schreibt – die nötige Sammlung, um dem schon 1908 gefassten Grundgedanken der allgemeinen Relativitätstheorie allmählich eine bestimmtere Form zu geben.

Alma mater Carolina Pragensis

Nach Bologna und der Sorbonne in Paris hatte Prag als dritte Stadt auf dem europäischen Festland eine Universität. Ihr Gründer Karl IV., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, und ihr erster Rektor, Erzbischof und Universitätskanzler Arnost von Pardubice, verliehen der Prager Hochschule Ruhm und Berühmtheit. Die Universitätsstadt an der Moldau hatte für die Wissenschaftler und Künstler immer eine große Anziehungskraft. In Prag wirkte der Hofastronom, Gelehrte und Gottessucher Tycho Brahe. Sein Assistent und Nachfolger Johannes Kepler schrieb hier seine Astronomia nova. Mit Kepler arbeitete hier der Hofuhrmacher, Mathematiker-Instrumentenmacher und Erfinder der Logarithmen, Joost Bürgi. Dieser Schweizer Forscher hat viele Jahre vor den Neper’schen Logarithmentafeln seine „Progress Tabulen“ in Prag erarbeitet. Hier wirkte auch Rektor Medikus Jan Jessenius, im weiteren der Astronom und Mathematiker Jan Marck Marci und der Philosoph und Theologe Bernhard Bolzano. Neben vielen anderen übte hier der Physiker Christian Doppler seine Lehrtätigkeit aus.

Einsteins Tätigkeit vor den Prager Jahren

Einstein begann 1908 seine Lehrtätigkeit als Privatdozent an der Universität Bern und wirkte von 1909 an als Dozent für theoretische Physik an der Universität Zürich. An der Prager Universität war die Situation kompliziert. Der Ordinarius für theoretische Physik, Hofrat Ferdinand Lippich, verabschiedete sich und trat in den Ruhestand, sodass der Lehrstuhl für dieses Fach frei wurde. Die Fakultätskommission – der Mathematiker Georg Pick und Prodekan Anton Lampa von der philosophischen Fakultät – empfahlen dem Wiener Kultusministerium für dieses Ordinariat gleich drei Kandidaten. Der erste war Dr. Einstein, „secundo loco“ Professor Gustav Jaumann von der Brünner Technischen Hochschule und Universitätsdozent Emil Kohl aus Wien. Die Wahl fiel später eindeutig auf Albert Einstein. Es folgten darauf die administrativen Verhandlungen. Einsteins schweizerische Staatszugehörigkeit sollte kein Hindernis werden, wohl aber die Religionszugehörigkeit. In Zürich war Einstein „konfessionslos“, was für das kaiserlich-königliche Zeremoniell und die Etikette unakzeptabel war. Ein Konfessionsloser konnte keinen ordentlichen Treueid leisten. Einstein bezeichnete sich auf dem Empfangsformular als „mosaisch“. Kaiser Franz Joseph I. von Österreich hat am 6. Januar 1911 die Professur für Albert Einstein mit Gültigkeit vom 1. April 1911 genehmigt. Gleichzeitig wurde mit einem Ministererlass das Institut für theoretische Physik eröffnet und Albert Einstein mit der Leitung desselben betraut.

Prag

Ordinarius Albert Einstein in Prag

Einstein musste als ordentlicher Universitätsprofessor für theoretische Physik an der deutschen Universität in Prag um die österreichische Staatszugehörigkeit der damaligen Monarchie ersuchen. Als Ordinarius musste er auch die vorgeschriebene Gala-Uniform (schwarzer Mantel mit goldenen Bändern, Dreispitzhut und Degen) beschaffen. „Hier wurde Einsteins Humor auf die Probe gestellt“, schreibt Johannes Wickert in seiner Einstein Monographie.

Familie Einstein in Prag

Die hunderttürmige Universitätsstadt an der Moldau konnte Einstein vieles bieten. Das Hradschin-Panorama mit der Karlsbrücke, die Kleinseitner Paläste, die Altstadt mit dem Rathaus und dem Altstädter Ring. Und die altertümliche Judenstadt mit ihren drei Synagogen an der Stelle des uralten Ghettos. Daneben gab es in Prag vier Hochschulen, nämlich zwei Universitäten und zwei Technische Hochschulen, getrennt nach Nationalitäten. Albert Einstein (31) kam mit seiner Familie nach Prag: Mit seiner Frau Mileva (36) und mit den beiden Söhnen Hans Albert (7) und Eduard (1). Es wurde für sie eine Neubauwohnung im Prager Stadtviertel Smichow errichtet. Ihre Unterkunft war in der Lesnicka Gasse 7 am linken Ufer der Moldau. Die Einsteins hatten, wie es damals üblich war, ein Dienstmädchen. Der Umzug von Zürich nach Prag war mit verschiedenen Schwierigkeiten verbunden und bereitete Mileva viele Sorgen. Einstein war für die Prager Bevölkerung ein Deutscher mit starkem Selbstbewusstsein. Die Hälfte der Prager Juden war damals deutschsprachig. Demgegenüber war Mileva von Geburt Serbin. Sie hatte große Mühe, sich anzupassen. Der Aufenthalt in Prag gefiel Mileva nicht so gut wie erhofft. Zudem gab es in der Ehe immer größere Auseinandersetzungen.

Einstein in der Prager Jüdischen Gemeinschaft

Einstein war das ganze Leben hindurch eine gesellschaftliche Persönlichkeit. Nicht nur als Studierender in Aarau und Zürich oder als Beamter in Bern, sondern auch als Prager Ordinarius liebte er den gesellschaftlichen Verkehr mit seiner Umgebung. Ganz besondere Aufmerksamkeit widmete Einstein dem philosophisch-literarischen Debattierzirkel im Salon Bertha Fanta auf dem Prager Altstädter Ring. Gerade hier vor dem Altstädter Ring, in der Apotheke „Zum Einhorn“ traf sich nicht nur die jüdische Jeunesse dorée, sondern auch die musikalische und literarische Gesellschaft aus der jüdischen Altstadt. Die prominenten Teilnehmer waren hier die Schriftsteller Max Brod, Franz Kafka, der Philosoph und aktive Zionist Hugo Bergmann und der Physiker Philipp Frank, der spätere Nachfolger Einsteins in Prag. Alle waren leidenschaftliche Musiker und Debattierer. Einstein wurde in diesem Salon gern gesehen und nahm an den literarischen Diskussionen und an den Musikveranstaltungen teil. Sehr gerne verweilte Einstein bei der Familie Winternitz in der Prager Altstadt. Professor Moriz Winternitz (1863-1937) war Indologe und Ethnologe und beschäftigte sich mit Sprache, Religion und Ethik. Unterschiedliche Vorlieben der beiden Wissenschaftler waren kein Hindernis für den Meinungsaustausch und für die Round-table-Debatten. Einstein kam gerne mit seiner Geige hierher zu Besuch, weil eine Schwägerin von Professor Winternitz, Ottilie Nagel, Klavierlehrerin war. Neben diesen gesellschaftlichen Beziehungen war Einstein von den tiefen Erkenntnissen über die physikalische Natur von Raum, Zeit, Masse und Gravitation voll absorbiert.

Einsteins Lehrtätigkeit in Prag

Gleich nach seinem Antritt an der Prager Universität (April 1911) hielt Professor Einstein im Sommersemester dreimal wöchentlich – montags, mittwochs und freitags – von 9 – 10 Uhr vormittags Vorlesungen über die Mechanik und am Dienstag und Donnerstag zu derselben Zeit behandelte er ausgewählte Kapitel aus der kinetischen Wärmetheorie. Dazu leitete er noch die zweistündigen Seminare im Institut für theoretische Physik in der Vinicna (Weinberger) Gasse. Insgesamt hatte Professor Einstein ca. 6 regelmäßige Studenten und Studentinnen. Neben den Uni-Vorlesungen hielt er für die breitere Prager Gesellschaft Vorträge. Der Andrang im Auditorium der Fakultät war sehr groß.

Einsteins wissenschaftliche Arbeit in Prag

Der 17-monatige Prager Aufenthalt war außerordentlich erfolgreich. Einstein schrieb hier 11 wissenschaftliche Arbeiten, davon 5 Arbeiten zur Strahlungsmathematik und zur Quantentheorie der Festkörper. Im März 1916 erschien in den Leipziger „Annalen der Physik“ die Arbeit „Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie“ und im Dezember desselben Jahres veröffentlichte Einstein sein bekanntes Buch „Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, leicht verständlich“. Dieses Buch wurde später auch in die tschechische Sprache übersetzt. Albert Einstein hat zu dieser Ausgabe ein Sondervorwort geschrieben.

Lassen wir Professor Einstein selbst sprechen:

„Es freut mich, dass das kleine Büchlein, in dem die Hauptgedanken der Relativitätstheorie dargestellt sind, nun in der Nationalsprache desjenigen Landes erscheint, in dem ich die nötige Sammlung fand, um den schon 1908 gefassten Grundgedanken der allgemeinen Relativitätstheorie allmählich eine bestimmtere Form zu geben, verwirklichen konnte. In den stillen Räumen des Theoretisch-Physikalischen Instituts der Prager Deutschen Universität, in der Vinicna ulice, entdeckte ich 1911, dass das Äquivalenzprinzip eine Ablenkung der Lichtstrahlen an der Sonne von beobachtbarem Betrage verlangt, ohne zu wissen, dass mehr als hundert Jahre vorher eine ähnliche Konsequenz aus der Newtonschen Mechanik in Verbindung mit Newtons Emissionstheorie des Lichtes gezogen worden war. Auch die noch immer nicht einwandfrei bestätigte Konsequenz von der Rotverschiebung der Spektrallinien entdeckte ich in Prag.“

In einer weiteren Prager Arbeit „Über den Einfluss der Schwerkraft auf die Ausbreitung des Lichtes“ machte Einstein auf die Beugung des Lichtstrahles in der Nähe der Sonne aufmerksam. Zu den schönsten Augenblicken des Prager Aufenthaltes zählte für Einstein der Besuch des Petersburger Physikers Paul Ehrenfest. Neben einem leidenschaftlichen Gedankenaustausch musizierten sie gemeinsam.

Der Solvay-Kongress der Physiker in Brüssel, Oktober 1911

Der belgische Industrielle und Chemiker Ernst Solvay hatte einen internationalen wissenschaftlichen Kongress nach Brüssel berufen. Präsident dieser „Gipfelkonferenz“ war der holländische Nobelpreisträger Hendrik A. Lorentz. Von englischer Seite nahmen Rutherford und Jeans teil, aus Paris kamen Poincaré, Marie Curie, Louis Broglie und Paul Langevin. Die deutschen Teilnehmer waren Nernst, Planck, Sommerfeld und andere. Einstein und Hasenöhrl waren auf der Teilnehmerliste als österreichische Staatsangehörige aufgeführt. Für die Conseil Solvay schrieb Einstein das Arbeitsreferat „Zum gegenwärtigen Stand des Problems der spezifischen Wärme“. An diesem Kongress konnte Einstein einflussreiche Bekanntschaften schließen.

Abschied von Prag

Mitte 1912 kündigte Einstein seine lehramtliche Stellung an der Deutschen Universität von Prag. Dieser Rücktritt wurde offiziell von Kaiser Franz Joseph I. genehmigt. Einstein erhielt eine Berufung als ordentlicher Professor an die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) in Zürich. Die ganze Familie, vor allem Mileva, freute sich auf die Rückkehr in die Schweiz. Der Umzug von Prag nach Zürich erfolgte am 25. Juli 1912. Schon nach kurzer Zeit, nämlich Ende 1913, wurde der große Gelehrte zum ordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gewählt. Albert Einstein war 1914 bis 1932 in Berlin tätig und verbrachte hierauf seine letzten Jahre in Princeton (USA).

Karel Koupil