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Biografie

„Dir gilt unsere Treue und Anhänglichkeit bis zum letzten hochgelehrten Schnaufer!“

Albert Einstein, 1953

„AKADEMIE OLYMPIA“

Durch die Vermittlung seines ehemaligen Kommilitonen Marcel Grossmann (1878-1936) bewarb sich Einstein im Dezember 1901 um eine Stelle am Berner Patentamt, zu der er dann auch, vorerst zur Probe, bestellt wurde. Um aber, bis zu einem möglichen Amtsantritt im Patentamt, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, gab er im Anzeiger der Stadt Bern unter – Vermischtes – folgende Anzeige auf:

Privatstunden in
Mathematik u. Physik
für Studierende und Schüler erteilt
gründlichst
Albert Einstein, Inhaber des eidgen.
polyt. Fachlehrerdiploms,
Gerechtigkeitsgasse 32, 1. Stock.
Probestunden gratis.

Auf die Anzeige meldete sich der Rumäne Maurice Solovine (1875-1958), ein junger Philosophiestudent, der bei Einstein Physikunterricht nehmen wollte. Solovine zweifelte, ob er sich nicht lieber den Naturwissenschaften widmen sollte, als dem Studium der Philosophie. Nach ihrem ersten längeren Gespräch, bei dem sie gegenseitig ihre Gedanken und Ideen austauschten, verabredeten sie sich für den kommenden Tag. Bei ihrem erneuten Treffen setzten sie ihr Gespräch vom Vortage fort; die geplante Physikstunde wurde dabei vollständig vergessen. Einstein und Solovine waren sich von Anfang an sehr sympathisch, und Einstein sagte an einem der folgenden Tage zu Solovine: „Eigentlich ist es nicht nötig, Ihnen Physikstunden zu geben, die Diskussion über die Probleme, die uns die Physik heute stellt, ist viel interessanter; kommen Sie einfach zu mir, wenn es ihnen passt, ich schätze mich glücklich, wenn ich mit Ihnen sprechen kann.“ Und Solovine kam wieder. Einstein hatte einen Gesprächspartner gefunden, aber keinen zahlenden Schüler!

Es war Solovine, der eines Tages vorschlug die Werke großer Autoren zu lesen und zu diskutieren. Einstein stimmte diesem Vorschlag begeistert zu. Einige Wochen später kam der Mathematiker Conrad Habicht (1876-1958), den Einstein in Schaffhausen kennen gelernt hatte, nach Bern und beteiligte sich an den Lesungen und anschließenden Diskussionen. Die drei gaben ihren abendlichen, teilweise bis in die frühen Morgenstunden dauernden, Sitzungen den Namen „Akademie Olympia“. Als „Albert Ritter von Steißbein, Präsident der Akademie Olympia“ fungierte Einstein, in dessen Berner Wohnung meistens die Treffen stattfanden. Den Namen und Titel erhielt Einstein von Conrad Habicht.

Einstein wollte das die Sitzungen mit einem gemeinsamen Nachtessen beginnen sollten. Da die drei nur wenig Geld hatten, fiel das Essen eher etwas spartanisch aus, was aber der guten Laune keinen Abbruch tat. Nach dem Essen las und diskutierte man das zur Zeit aktuelle Werk. Dabei konnte es vorkommen, das man an einem Abend nur eine Seite oder noch weniger las, diese aber dann ausführlich, manchmal mehrere Tage lang, diskutierte. So war es eher die Regel, dass das Lesen eines Werkes Wochen, wenn nicht sogar Monate dauern konnte. Gemeinsam lasen und diskutierten sie Ernst Machs Analyse der Empfindungen und Die Mechanik in ihrer Entwicklung, Karl Pearsons Grammatik der Wissenschaft, Henri Poincarés Wissenschaft und Hypothese, John Stuart Mills Logik, David Humes Traktat über die menschliche Natur und Spinozas Ethik, um nur einige zu nennen. Selbstverständlich haben sie auch Einsteins Arbeiten heftig diskutiert. Es wurde aber auch Schöngeistiges gelesen, so z. B. Don Quijote von Cervantes Saavedra. Neben all der Arbeit kam aber auch das Vergnügen nicht zu kurz und ab und zu bereicherte Einstein die Sitzungen mit einem kleinen Violine Konzert.

In der „Akademie“ herrschte aber auch eine eiserne Disziplin. So kam es einmal vor, das Solovine einer Sitzung fernblieb um sich ein Konzert in der Stadt anzuhören. Er hatte aber für die Freunde ein Essen vorbereitet und eine Nachricht hinterlassen: „Amicis carissimis ova dura et salutem.“ (Den vielgeliebten Freunden harte Eier und Gruß). Das Schwänzen der Sitzung musste er aber teuer bezahlen. Da an diesem Abend die Sitzung bei ihm stattfinden sollte, stellten Einstein und Habicht, nachdem sie das von Solovine vorbereitete Essen zu sich genommen hatten, Solovines Wohnung auf den Kopf. Dabei blieb kein Möbelstück auf seinem Platz. Teller, Tassen, Gabeln, Messer und Bücher wurden in der Wohnung verteilt und nicht zuletzt wurden die Räume durch Einsteins Pfeife und Habichts Zigarre mit einer dicken Rauchwolke überzogen. Bevor die beiden die Wohnung verließen, befestigten sie noch einen „würdigen Denkzettel“ an der Wand. Dort stand zu lesen: „Amico carissimo fumum spissum et salutem“ (Dem liebsten Freund dicken Rauch und einen Gruß). Am nächsten Abend soll Einstein Solovine lautstark mit den Worten: „Miserabler Kerl, wie, du hattest die Frechheit, einer Sitzung der Akademie fernzubleiben, um Geige spielen zu hören? Barbare, Einfaltspinsel, Dummkopf, wenn du uns nochmals auf diese billige Weise im Stich lässt, wirst du mit Schande aus der Akademie ausgestoßen.“ begrüßt haben. Die nachfolgende Sitzung dauerte bis weit in den Morgen hinein, denn die versäumte Zeit musste nachgeholt werden.

Später nahmen noch der Bruder von Conrad Habicht, Paul (1884-1948) sowie Lucien Chavan (1868-1942), der als Techniker bei der schweizerischen Post- und Telegrafendirektion tätig war, sporadisch an den Sitzungen der „Akademie“ teil. Solovine berichtete später, dass Mileva Maric, Einsteins ehemalige Kommilitonin und erste Ehefrau, manchmal den Gesprächen der Freunde aufmerksam zugehört, aber nie selbst das Wort ergriffen habe.

Obwohl die „Akademie Olympia“ nur von kurzer Dauer war, Conrad Habicht verließ 1904 Bern, Maurice Solovine 1905, erinnerte sich Einstein oft daran, und sie hat nach seinen eigenen Worten seinen wissenschaftlichen Werdegang gefördert. Die drei Gründungsmitglieder, deren feste Freundschaft durch die Akademie begründet wurde, blieben ihr gesamtes Leben miteinander in Verbindung und die „Akademie Olympia“ lebte in ihrer Erinnerung weiter.

1953, gedachte Einstein in einem Schreiben an Maurice Solovine der „Akademie Olympia“ die 1902 in Bern gegründet wurde.


„An die unsterbliche Akademie Olympia.

In deinem kurzen aktiven Dasein hast du in kindlicher Freude dich ergötzt an allem was klar und gescheit war. Deine Mitglieder haben dich geschaffen, um sich über deine grossen, alten und aufgeblasenen Schwestern lustig zu machen. Wie sehr sie damit das Richtige getroffen haben, hab ich durch langjährige sorgfältige Beobachtungen voll zu würdigen gelernt.

Wir alle drei Mitglieder haben uns zum Mindesten als dauerhaft erwiesen. Wenn sie auch schon etwas krächelig sind, so strahlt doch noch etwas von deinem heiteren und belebenden Licht auf unsern einsamen Lebenspfad; denn du bist nicht mit ihnen alt geworden und ausgewachsen wie eine ins Kraut gewachsene Salatpflanze.

Dir gilt unsere Treue und Anhänglichkeit bis zum letzten hochgelehrten Schnaufer! Das nunmehr nur korrespondierende Mitglied

Princeton 3. IV. 53.“

Literaturnachweis:

Max FlückigerAlbert Einstein in BernBern 1974
Armin HermannEinstein. Der Weltweise und sein JahrhundertMünchen 1994
Dr. Adolf W. MeichleAlbert Einsteins Berner Jahre 1902-1909Bern 1992