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Biografie

„Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen.“

Albert Einstein, aus „Mein Glaubensbekenntnis“, 1932

EINSTEINS GLAUBENSBEKENNTNIS

Ende August 1932 schrieb Albert Einstein in Caputh „Mein Glaubensbekenntnis“ und sprach es vermutlich Ende September, Anfang Oktober, im Auftrag und zu Gunsten der Deutschen Liga für Menschenrechte, auf Schallplatte. Das handschriftliche Originalmanuskript schenkte Einstein Konrad Wachsmann, dem Architekten seines Sommerhauses in Caputh.

1 Die ersten Zeilen von Einsteins handschriftlichem Entwurf seines Glaubensbekenntnisses, 1932
Albert Einstein Archiv – Call Nr 28-218.00

Der Text von Einsteins Glaubensbekenntnis sagt uns etwas über seine weltanschauliche und politische Einstellung aus seinen letzten Berliner Jahren. Bedingt durch das gesprochene Wort, im Vergleich zum geschriebenen, spürt man beim Abhören der Schallplatte, neben all den technischen Unzulänglichkeiten der Aufnahme und trotz ihrer Kürze, den hohen emotionalen Wert gepaart mit einer großen Informationsdichte. Der große Physiker und Humanist bringt hier sein Streben nach Wahrheit, Menschlichkeit und Frieden in eindrucksvoller Weise zum Ausdruck.
Der genaue Zeitpunkt der Schallplattenaufnahme ist heute nicht bekannt. Da Einstein Anfang Dezember 1932 Deutschland verlassen hatte, um in den USA Gastvorlesungen zu halten, von denen er dann aber nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt ist, muss die Aufnahme vorher entstanden sein. Heute geht man davon aus, dass dies Ende September, Anfang Oktober 1932 war. Herausgebracht wurde die Platte um die Jahreswende 1932/1933, bei wahrscheinlich geringer Auflage und Verbreitung. Auch ist nicht bekannt, ob ein offener Verkauf, entweder gar nicht oder nur während eines kurzen Zeitraumes stattfinden konnte. Heute besitzt dieses Lautdokument Einsteins hohen Seltenheitswert.
Korrespondenz aus dieser Zeit, die genauere Informationen liefern könnte, ist nicht bekannt. Möglich ist aber auch, dass die entsprechenden Vereinbarungen zwischen der Deutschen Liga für Menschenrechte und Einstein telephonisch oder auf direktem Wege abgeklärt wurden. So war der in Berlin geborene Journalist und Publizist Kurt Grossmann (1897-1972), ab 1926 Sekretär der Deutschen Liga für Menschenrechte, in Berlin tätig.

2 Schallplatte
„Mein Glaubensbekenntnis“
3 Label der Schallplatte, I. Teil

Daten zur Schallplatte:

Text / Autor:Albert Einstein, Berlin / Caputh
Redner:Albert Einstein, Berlin / Caputh
Titel:Mein Glaubensbekenntnis
Gesamtlaufzeit:3′ 58“ (3 Minuten, 58 Sekunden), I. Teil 1′ 59“, II. Teil 1′ 59“
Im Auftrag der:Deutschen Liga für Menschenrechte Berlin N. 24, Monbijouplatz 10
Aufnahmedatum:Ende September, Anfang Oktober 1932
Veröffentlicht:Jahreswechsel 1932/1933
Plattenfirma:wahrscheinlich Clausophon, Berlin oder Orchestrola
Labelcodes:7782, 7783
Schallplattenauflage:gering, genaue Auflage nicht bekannt
Schallplattenmaterial:Schellack
Abmessungen:Durchmesser: 20 cm, Dicke: 2,5 mm, Mittelloch: 7mm
Abspieldrehzahl:78 min-1
Plattenhülle:Papier, unbedruckt
Heute (2022) noch vorhanden:sehr wenige (vielleicht noch 10 Exemplare weltweit!)

Tondokument: Albert Einstein – Mein Glaubensbekenntnis, 1932

(Tonarchiv des Autors)

Mit freundlicher Genehmigung des Albert Einstein Archivs, Hebrew University of Jerusalem, Israel

Mein Glaubensbekenntnis

[I. Teil]
„Zu den Menschen zu gehören, die ihre besten Kräfte der Betrachtung und Erforschung objektiver, nicht zeitgebundener Dinge widmen dürfen und können, bedeutet eine besondere Gnade. Wie froh und dankbar bin ich, dass ich dieser Gnade teilhaftig geworden bin, die weitgehend vom persönlichen Schicksal und vom Verhalten der Nebenmenschen unabhängig macht. Aber diese Unabhängigkeit darf uns nicht blind machen gegen die Erkenntnis der Pflichten, die uns unaufhörlich an die frühere, gegenwärtige und zukünftige Menschheit binden.

Seltsam erscheint unsere Lage auf dieser Erde. Jeder von uns erscheint da unfreiwillig und ungebeten zu kurzem Aufenthalt, ohne zu wissen, warum und wozu. Im täglichen Leben fühlen wir nur, dass der Mensch um anderer willen da ist, solcher, die wir lieben, und zahlreicher anderer, ihm Schicksalsverbundener Wesen.

Oft bedrückt mich der Gedanke, in welchem Maße mein Leben auf der Arbeit meiner Mitmenschen aufgebaut ist, und ich weiß, wie viel ich Ihnen schulde.

Ich glaube nicht an die Freiheit des Willens. Schopenhauers Wort: ‚Der Mensch kann wohl tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will‘, begleitet mich in allen Lebenslagen und versöhnt mich mit den Handlungen der Menschen, auch wenn sie mir recht schmerzlich sind. Diese Erkenntnis von der Unfreiheit des Willens schützt mich davor, mich selbst und die Mitmenschen als handelnde und urteilende Individuen allzu ernst zu nehmen und den guten Humor zu verlieren.

Nach Wohlleben und Luxus strebte ich nie und habe sogar ein gut Teil Verachtung dafür. Meine Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit hat mich oft in Konflikt mit den Menschen gebracht, ebenso meine Abneigung gegen jede Bindung und Abhängigkeit, die mir nicht absolut notwendig erschien.

[II. Teil]
Ich achte stets das Individuum und hege eine unüberwindliche Abneigung gegen Gewalt und gegen Vereinsmeierei. Aus allen diesen Motiven bin ich leidenschaftlicher Pazifist und Antimilitarist, lehne jeden Nationalismus ab, auch wenn er sich nur als Patriotismus gebärdet.

Aus Stellung und Besitz entspringende Vorrechte sind mir immer ungerecht und verderblich erschienen, ebenso ein übertriebener Personenkultus. Ich bekenne mich zum Ideal der Demokratie, trotzdem mir die Nachteile demokratischer Staatsform wohlbekannt sind. Sozialer Ausgleich und wirtschaftlicher Schutz des Individuums erschienen mir stets als wichtige Ziele der staatlichen Gemeinschaft.

Ich bin zwar im täglichen Leben ein typischer Einspänner, aber das Bewusstsein, der unsichtbaren Gemeinschaft derjenigen anzugehören, die nach Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit streben, hat das Gefühl der Vereinsamung nicht aufkommen lassen.

Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion sowie allem tieferen Streben in Kunst und Wissenschaft zugrunde. Wer dies nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn nicht wie ein Toter, so doch wie ein Blinder. Zu empfinden, dass hinter dem Erlebbaren ein für unseren Geist Unerreichbares verborgen sei, dessen Schönheit und Erhabenheit uns nur mittelbar und in schwachem Widerschein erreicht, das ist Religiosität. In diesem Sinne bin ich religiös. Es ist mir genug, diese Geheimnisse staunend zu ahnen und zu versuchen, von der erhabenen Struktur des Seienden in Demut ein mattes Abbild geistig zu erfassen.“

Mit freundlicher Genehmigung des Albert Einstein Archivs, Hebrew University of Jerusalem, Israel


Bildernachweis:
Mit freundlicher Genehmigung des Albert Einstein Archivs, Hebrew University of Jerusalem, Israel, Call Nr 28-218.00: Abb. 1
Archiv des Autors: Abb. 2, 3

Literaturnachweis:

Siegfried GrundmannEinsteins AkteBerlin, 2004
Michael GrüningEin Haus für Albert EinsteinBerlin, 1990
Friedrich HerneckAlbert Einsteins gesprochenes GlaubensbekenntnisNaturwissenschaften, 1966
Friedrich HerneckEinstein und sein WeltbildBerlin, 1976
Kenji SugimotoAlbert Einstein. Die kommentierte BilddokumentationMünchen 1987