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Biografie

„Ungeheuer hat es mich interessiert, dass Du wieder in das Patentamt zurückgehen willst, in dieses weltliche Kloster, wo ich meine schönsten Gedanken ausgebrütet habe und wo wir so hübsche Zeiten zusammen verlebten. […]“

Albert Einstein an seinen Freund Michele Besso, 12. Dezember 1919

Albert Einstein und das Patentamt in Bern

Zum Patentamt:
Gründung am 15. November 1888
Von 1888 bis 1979: „Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum“, im Volksmund wurde das Amt oftmals „Patentamt“ genannt
Von 1979 bis 1996: „Bundesamt für geistiges Eigentum“
Seit 1. Januar 1996: „Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum (IGE)“

Durch die Vermittlung seines Freundes und ehemaligen Kommilitonen Marcel Grossmann (1878-1936) bewarb sich Albert Einstein um eine Stelle am Berner Patentamt. Marcels Vater, Jules Grossmann (1843-1934), der den Maschinenbauingenieur und ersten Direktor des Patentamtes, Friedrich Haller (1844-1936), persönlich kannte, hatte Einstein empfohlen.

In einem Brief an Marcel Grossmann bedankte sich Einstein am 14. April 1901 für die Empfehlung seines Vaters bei Friedrich Haller: „[…] Ich bitte Dich, Deine werten Angehörigen freundlichst von mir zu grüßen, und Deinem Papa herzlichst für seine Bemühung zu danken, sowie für das Vertrauen, das er mir dadurch entgegenbrachte, daß er mich empfohlen hat.“

Am 11. Dezember 1901 erschien im Schweizerischen Bundesblatt folgendes Inserat:

1 Stellenausschreibung

Am 19. Dezember 1901 informierte Einstein Mileva Maric darüber, dass Haller ihm vor einigen Tagen einen eigenhändigen, freundlichen Brief geschrieben hat, und ihn darin auffordert, sich schleunigst, um eine neugeschaffene Stelle am Patentamt zu bewerben.

Einstein folgte der Aufforderung. Am 18. Dezember 1901 bewarb er sich in einem Brief um die ausgeschriebene Stelle beim „Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum“. In seiner Bewerbung schreibt er: „Ich, Unterzeichneter, erlaube mir hiermit, mich um die Ingenieurstelle II. Klasse beim eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum zu bewerben, welche im Bundesblatt vom 11. Dezember 1901 ausgeschrieben ist. Ich erwarb mir meine Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Physik und Elektrotechnik an der Schule für Fachlehrer in mathematisch-physikalischer Richtung am eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, […].“
Im weiteren Verlauf des Briefes beschreibt er seinen beruflichen Werdegang. Einstein lebte und arbeitete zu dieser Zeit noch in Schaffhausen.

Im Januar 1902 wurde Lieserl, die uneheliche Tochter von Albert Einstein und Mileva Maric, seiner ehemaligen Kommilitonin, in Ungarn geboren.

Anfang Februar 1902 zog Einstein von Schaffhausen nach Bern um. Die Entscheidung des Patentamtes seitens der Stellenvergabe verzögerte sich. Seine finanziellen Verhältnisse zwangen ihn, äußerst bescheiden zu leben. Um aber, bis zu einem möglichen Amtsantritt im Patentamt, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, gab er im Anzeiger der Stadt Bern eine Anzeige auf. Er bot für Schüler und Studierende Privatstunden in Physik und Mathematik an. Hieraus entwickelte sich später die Berner „Akademie Olympia“.

Im Juni 1902 war es dann so weit. Am 19. Juni 1902 erhielt Einstein endlich die lang ersehnte Zusage vom Patentamt. In dem Schreiben heißt es: „[…] In seiner Sitzung vom 16. Juni 1902 hat der Bundesrat Sie provisorisch mit einem Jahresgehalt von Frcs 3500, zum technischen Experten III. Klasse des eidg. Amtes für geistiges Eigentum gewählt.“

Neben Einstein wurde auch J. Heinrich Schenk vom Bundesrat provisorisch, d.h. zur Probe, zum technischen Experten III. Klasse gewählt.

Damit war es auch mit Einsteins finanziellen Sorgen vorbei.

Albert Einsteins erster Arbeitstag war Montag, der 23. Juni 1902. Der Sitz des Patentamtes befand sich zu dieser Zeit in den oberen Stockwerken des Telegraphengebäudes an der Ecke Speichergasse/Genfergasse. Hier arbeitete er im Zimmer 86 im dritten Stock an seinem Schreibtisch, manchmal auch an seinem Stehpult, und prüfte Erfindungen auf ihre Patentierbarkeit.

Bei Amtsantritt unterzog der Direktor des Amtes jeweils die neugewählten Beamten einer mündlichen und schriftlichen Prüfung, die bis zu zwei Tage dauern konnte. Direktor Haller unterrichtete die neuen Beamten u. a. in technischen Fächern. Er war ein strenger Vorgesetzter und galt im Amt als unbestrittene Autorität. „Einstein schätzte die robuste, aber zugleich gütige und logisch-konsequente, charaktervolle Art seines Vorgesetzten aufrichtig.“ Haller, der ein vorzüglicher Methodiker war, machte seinen Mitarbeitern klar, dass sie bei einem Patentgesuch zuerst denken sollen, dass an dem Gesuch alles falsch ist! Es galt kritisch und wachsam zu sein. Erst dann sollte die Erfindung hinterfragt und geprüft werden. Hallers Methode hat den jungen Einstein sehr gebildet und sein Denken geschärft. Einsteins eigenen Worten nach war diese Art der Arbeit für seine weitere Entwicklung sehr nützlich.

„Einstein blieb auf dem Patentamt mehr als ein Jahr im Provisorium. Als 42. Beamter stand er unter strenger Aufsicht und wurde zu restloser Pflichterfüllung herangezogen; er hatte sich das Lesen technischer Zeichnungen und der Masseintragungen anzueignen. Die Arbeit auf dem Amt fiel Einstein bei seiner leichten und raschen Auffassungsgabe nicht schwer, und er löste oft schwierige Probleme. Einstein fühlte sich glücklich mit seinem festen, regelmässigen Gehalt. Durch sein Verhalten gewann der äusserlich so bescheiden auftretende Beamte immer mehr die Wertschätzung seiner Vorgesetzten und die Achtung seiner Mitarbeiter. So schätzte auch der damalige, sehr strenge Direktor des Patentamtes, Friedrich Haller, seine Arbeit.
Seiner Natur nach immer höflich und zuvorkommend, korrekt gegenüber jedermann, ohne Liebedienerei, bewahrte sich Einstein auf dem Patentamt doch sein freies Urteil und seinen goldenen Humor. Als spezieller Kenner der Maxwellschen Theorie war Einstein vornehmlich mit Patenten beschäftigt, die mit elektrischen Apparaten zu tun hatten.“

Quelle: „Albert Einsteins Berner Jahre“, A. Meichle

Der in dem vorhergehenden Text erwähnte „42. Beamte“ bezieht sich darauf, dass Einstein in den Akten des Amtes als 42. Beamter geführt wurde.

2 Albert Einstein an seinem Arbeitsplatz im Patentamt, 1904, (Foto: Lucien Chavan)

Heute lässt sich mehr nicht genau eruieren, welche Patente Einstein bearbeitet hat. Bei den folgenden Patenten geht man aber davon aus, dass sie von Einstein persönlich geprüft wurden:

Pat.-Nr. 39561: Kiessortiermaschine
Pat.-Nr. 39619: Wetteranzeiger, der durch die Feuchtigkeit der Luft beeinflusst wird
Pat.-Nr. 39853: Elektrische Typenschiffchen-Schreibmaschine
Zusatz-Pat.-Nr. 39988 (zum Hauptpatent Nr. 38853): Wechselstromkollektormaschine mit Kurzschlussbürsten und diesen gegenüberliegenden Hilfsspulen zur Funkenvermeidung
Beanstandung zur Wechselstromkollektormaschine

Quelle: IGE

Am 6. Januar 1903 heiratete Albert Einstein gegen den Willen der Familien seine ehemalige Kommilitonin Mileva Maric. Etwas mehr als ein Jahr später wurde am 14. Mai 1904 Hans Albert ihr erster Sohn geboren. Die Familie wohnte seit Herbst 1903 in Bern in der Kramgasse 49.

In den ersten Jahren bezog Einstein ein Jahresgehalt von Fr. 3500. Die Beamten mussten ihre Besoldung auf einer gemeinsamen Lohnliste quittieren. Daher kannte jeder Beamte das Gehalt der Kollegen. Diese Liste beinhaltete auch den Lohn des Direktors. Die Arbeit im Amt fiel Einstein nicht schwer. Durch seine rasche Auffassungsgabe, sein kombinatives Denken und die Fähigkeit, sich klar und korrekt auszudrücken, konnte er sich leicht in Patentgesuche eindenken und oft schwierige Probleme in kurzer und vertretbarer Zeit lösen. Freunden gegenüber soll er seine Arbeit im Amt, seinem Humor entsprechend, als „Schusterarbeit“ bezeichnet haben. Direktor Haller hat seinen Mitarbeiter sehr geschätzt. Dies nicht nur aus fachlicher Sicht, sondern auch wegen seinem Verhalten und bescheidenem Auftreten. Auch bei seinen Kollegen erfuhr er eine zunehmende Wertschätzung.

Einstein wusste seine Zeit genau einzuteilen: acht Stunden Arbeit im Amt, acht Stunden „Allotria“ (bedeutet so viel wie Spaß oder vergnüglicher Unfug) verbunden mit wissenschaftlicher Arbeit und acht Stunden Schlaf. Letztgenanntes wurde oft zu weiterer wissenschaftlicher Arbeit und zur Niederschrift wissenschaftlicher Manuskripte verwendet.

Trotz der Arbeit im „weltlichen Kloster“ fand er die Zeit, in seiner vielleicht physikalisch kreativsten Periode, um weiter auf dem Gebiet der theoretischen Physik zu arbeiten. So im Wunderjahr 1905, seinem „annus mirabilis“. In diesem Jahr veröffentlicht er vier bahnbrechende Arbeiten in den Annalen der Physik, die die Grundlagen der Physik um 1900 revolutionieren. Eine der Arbeiten, Zur Elektrodynamik bewegter Körper, beinhaltet die spezielle Relativitätstheorie. In einer anderen leitet er die berühmte Formel E = mc2 her. Mit einigen Kollegen des Patentamtes, z. B. Dr. Josef Sauter und Michele Besso, besprach und diskutierte er konstruktiv, meist auf dem Weg zum Amt oder auf dem Rückweg, seine revolutionierenden Theorien, so auch seine Relativitätstheorie. Michele Besso war seit 1904 Kollege von Einstein im Patentamt. Beide verband eine lebenslange Freundschaft.

Es ist wahrscheinlich, dass Einstein in der Schublade seines Schreibtisches im Amt Notizen seiner jeweils aktuellen physikalischen Theorien zur Hand hatte, um ab und zu einen Blick darauf zu werfen.

Im April 1905 reichte Einstein seine Arbeit, Eine neue Bestimmung der Moleküldimensionen, als Dissertation an der Universität Zürich ein, die Ende Juli akzeptiert wurde. Mitte Januar wurde Einstein von der Universität Zürich promoviert.

Am 1. April 1906 wurde Einstein zum technischen Experten II. Klasse mit einem Jahresgehalt von Fr. 4500 befördert. Der Direktor, Friedrich Haller, verdiente nach der Lohnliste in dieser Zeit Fr. 8000 im Jahr. Als Einstein von seiner Gehaltserhöhung erfuhr, soll er den Direktor gefragt haben, was er mit dem vielen Geld anfangen soll. Einsteins finanzielle Situation war mehr als gesichert.

Von 1907 bis 1921 befand sich der Sitz des Patentamtes im alten Postgebäude am äußeren Bollwerk (Bollwerk Nr. 8). Hier arbeitete Einstein im ersten Stock in sehr angenehmen räumlichen Verhältnissen.

Mittlerweile war auch die physikalische Welt auf den jungen, noch unbekannten Albert Einstein aufmerksam geworden.

So schreibt Carl Seelig in seiner Einstein-Biografie von einem Gespräch zwischen ihm und dem deutschen Physiker Max von Laue (1879-1960) vom Kennenlernen mit Albert Einstein (1907) im Berner Patentamt: „Gemäß brieflicher Verabredung suchte ich [Max von Laue] ihn im Amt für geistiges Eigentum auf. Im allgemeinen Empfangsraum sagte mir ein Beamter, ich solle wieder auf den Korridor gehen, Einstein würde mir dort entgegenkommen. Ich tat das auch, aber der junge Mann, der mir entgegenkam, machte mir einen so unerwarteten Eindruck, dass ich nicht glaubte, er könne der Vater der Relativitätstheorie sein. So ließ ich ihn an mir vorübergehen, und erst als er aus dem Empfangszimmer zurückkam, machten wir Bekanntschaft miteinander. Was wir besprochen haben, weiß ich nur noch in Einzelheiten. Aber ich erinnere mich, dass der Stumpen, den er mir anbot, mir so wenig schmeckte, dass ich ihn ‚versehentlich‘ von der Aarebrücke in die Aare hinunterfallen ließ.“

Nach Vorlage einer Habilitationsschrift und einer Probevorlesung wurde Einstein am 28. Februar 1908 Privatdozent an der Universität Bern. In dem Schreiben von der Universität heißt es: „Ihrem Gesuch vom Juni1907 entsprechend und gestützt auf das Gutachten der philosophischen Fakultät, erteilen wir Ihnen die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften die venia docendi für theoretische Physik und laden Sie ein, Ihre akademische Tätigkeit mit der Antrittsvorlesung zu beginnen, […].“

Neben seiner Arbeit im Patentamt nahm Einstein die Lehrtätigkeit an der Berner Universität auf, die den jungen Dozenten aber nicht voll befriedigte. Mit der Unterstützung von Freunden, z. B. Michele Besso, Josef Sauter und Lucien Chavan, wurde ein Kontakt mit der Universität Zürich hergestellt. Da sich die Verhandlungen mit der Universität Zürich positiv entwickelten und er in der Folge eine Berufung zum Professor für theoretische Physik an der Universität Zürich erhielt, reichte Einstein am 6. Juli 1909 seine Kündigung beim Eidg. Justiz- & Polizei-Departement Bern ein. Er schreibt: „Der Unterzeichnete wurde vom Regierungsrat des Kantons Zürich zum Professor der theoretischen Physik an der Züricher Hochschule berufen und hat diesen Ruf angenommen. Er ersucht Sie aus diesem Grunde, ihn auf 15. Oktober 1909 aus seiner bisherigen Stellung als technischer Experte des Amtes für geistiges Eigentum zu entlassen. […]“

Direktor Haller und das Amt ließen Einstein nur ungern ziehen. Dem Bundesrat gegenüber äußerte er sich am 12. Juli 1909 folgendermaßen: „Herr Dr. A. Einstein, welcher seit 1902 Experte des Amtes ist, hat demselben sehr geschätzte Dienste geleistet. Sein Weggang bedeutet einen Verlust für das Amt. Indes fühlt Herr Einstein, dass Lehrtätigkeit und wissenschaftliche Forschung sein eigentlicher Beruf sei, weshalb der Direktor des Amtes davon absehen musste, Versuche zu machen, um ihn durch finanzielle Besserstellung an das Amt zu binden.“

Albert Einstein verließ am 15. Oktober 1909 das Patentamt und einige Tage später die Stadt Bern. 

Mit seiner Familie zog er nach Zürich, um dort am 18. Oktober mit dem Beginn des Wintersemesters an der Universität seine Lehrtätigkeit aufzunehmen.

Der Abschied von Bern bedeutete auch für Einstein ein neuer Anfang. Aus dem jungen Patentamtsbeamten Albert Einstein sollte einer der größten Naturwissenschaftler seiner Zeit werden.

03/2024

Bildernachweis:

Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum (IGE), Inserat (BBl 1901 IV 1264 ff., 1265): Abb.1
Gemeinfrei: Abb.2

Literaturnachweis:

Hrsg. John Stachel, David C. Cassidy,
Robert Schulmann
The Collected Papers of Albert Einstein,
Volume 1
Princeton 1987
Hrsg. Martin J. Klein, A. J. Kox,
Robert Schulmann
The Collected Papers of Albert Einstein,
Volume 5
Princeton 1993
Hrsg. Diana Kormos Buchwald,
Robert Schulmann, József Illy
The Collected Papers of Albert Einstein,
Volume 9
Princeton 2004
Max FlückigerAlbert Einstein in BernBern, 1974
Albrecht FölsingAlbert Einstein – Eine BiographieFrankfurt / Main 1993
Ann M. Hentschel, Gerd GraßhoffAlbert Einstein „Jene glücklichen Berner Jahre“Bern, 2005
A. MeichleAlbert Einsteins Berner Jahre 1902-1909Bern, 1992
Carl SeeligAlbert EinsteinZürich, 1954
Claudia E. Graf-GrossmannMarcel Grossmann – Aus Liebe zur MathematikZürich, 2015